Eine Künstlerin für Künstler 

Die freie Tanz-Choreografin Catherine Guerin aus Heidelberg

INTERVIEW VON ALEXANDRA KARABELAS / SEPTEMBER 2020

Als im Sommer die ersten Tanzperformances in Mannheim wieder möglich waren, fiel Catherine Guerin auf. Ihre meisterhafte Art, ein Kunstwerk für die Bühne zu kreieren machte atemlos. Ihr war mal wieder gelungen, über ein präzises Körper- und Bewegungsbild ein Stück Tanz zu choreografieren, das Sinne und Intellekt des Betrachters scharf herausforderten. 

Ihr für Kirill Berezovski geschaffenes Solo „Maybe Tomorrow“ im Theater Felina-Areal wirkte wie eine Skulptur von Auguste Rodin, die den Menschen als bindungslose, seinem Schmerz ausgesetzte Kreatur auf dem Mond inszenierte. Aus dem Off sprach Guerin dazu über das Phänomen der Zeit. Wenige Wochen zuvor war sie selbst vor Publikum gestanden. Im Eintanzhaus, wo sie zum Schluss des mehrteiligen „1x1“-Abends eine Frau spielte, die ihre Zuschauer mit einem phantastischen Tanz-Monolog über die Sterne am Himmel und die Zukunft bombardierte. 

„Es war mir schon immer wichtig, die Grenzen der Dinge zu überschreiten“, sagt sie. „Mich interessiert: Wann werden die Bewegungsformen des Alltags zu einem Tanz? Wann wird gewöhnliche Sprache zu Musik? Können Worte tanzen? Oder können Tänze wie das Schreiben von Büchern gemacht werden?“ Forschungsdrang zeichnet Catherine Guerin seit jeher aus. Derzeit beschäftigt sich die Künstlerin, die eine der wenigen Tanz-Intellektuellen im Umkreis ist, mit dem im Journalismus gängigen Verfahren des „Storytellings“ und der Frage, wie dieses in eine choreografische Methode transformiert werden kann, erzählt sie. Außerdem arbeite sie zusammen mit Pascal Wieandt an einem Theaterstück über ein Spukhaus: „Was ist das Choreografische an einem Spukhaus? Ich finde das Horrorgenre auf der körperlichen, sinnlichen und wahrnehmungsbezogenen Ebene sehr interessant. Glaube ich, was ich sehe? Oder sehe ich nur, was ich glaube?“ 

Ihr Geist sei ruhelos, sagt die 63- Jährige, die gerade auch eine Niederlage verkraften musste: Einer ihrer Förderanträge ist abgelehnt worden. Nun gilt es auf andere Zusagen zu hoffen. Aber selbst wenn es nichts Konkretes gebe, kein Festival, keine neue Vorstellung, sei die innere Werkstatt stets aktiv: „Das Nachdenken ist Teil meiner Arbeit, genauso wie das Träumen. Ich mag es, Möglichkeiten zu erforschen, um das Unerwartete zu provozieren. Ich spiele gerne entlang dieser Linien.“ Dieser Spieltrieb macht sie zu einer der spannendsten Tanz- und Performance-Künstlerinnen, die die Metropolregion Rhein-Neckar hat und kennt – oder eben nicht. Denn obwohl Catherine Guerin seit über 40 Jahren im professionellen Tanz unterwegs ist und an verschiedenen Institutionen in Mannheim und Heidelberg unterrichtet, ist sie eine Art Anti-Heldin, wenn es darum geht, im Licht der Öffentlichkeit, der Förderer oder der Netzwerke zu stehen. Guerin ist auch eine Künstlerin für Künstler. Sie macht wenig Aufhebens um sich. Zeigt sie aber etwas, muss man es gesehen haben. Dass sie immer nur kurz auf einer der wenigen Tanzbühnen im Rhein-Neckar- Kreis mit einer neuen Arbeit auftaucht und dann wieder verschwindet, liegt auch an der ungleichgewichtigen Förderstruktur in ihrer Heimatstadt Heidelberg, wo wenig Geld in die freie Szene fließt. 

1957 geboren und aufgewachsen im New Yorker Stadtteil Queens, absolvierte sie ihre zeitgenössische Tanzausbildung bei David Howard, Carlos Orta, Rui Horta und Jeremy Nelson. Mit 29 Jahren landete sie in Heidelberg, wo sie bis 1994 am Theater festes Mitglied des Ballettensembles unter Liz King war, der Nachfolgerin von Johann Kresnik. Mit ihr zog sie im Anschluss weiter nach Wien, wo sie mit King zehn Jahre lang das Tanztheater Wien aufbaute und das Ballett der Wiener Volksoper zeitgenössisch ausrichtete. Zurück in Heidelberg, der Liebe wegen, gehörte sie schnell wieder zu jenem Kreis lokaler Choreografinnen und Choreografen, denen das Unterwegstheater regelmäßig Plattformen schuf, um als Künstlerin sichtbar werden zu können. Sie ließ sich zudem zur Dozentin der Feldenkrais Methode ausbilden, die sie unter anderem an der Theaterwerkstatt Heidelberg und in Mannheim unterrichtet. Auf die Frage, was die Gesellschaft vom Tanz lernen könne, sagt sie, dass er neben den endlosen Möglichkeiten für den körperlichen Ausdruck von Emotionen helfen könne, zu verstehen, wie wir kollektiv sein können: „Wenn ich die Vorstellungskraft von jemandem entfesseln und gemeinsam mit ihm träumen kann, dann können erstaunliche Dinge passieren. Wir kommen dem Ziel näher, Agenten der Veränderung zu sein.“ 

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Interview mit Catherine

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